 
 
 
  Vorwort
  Im Jahr 2005 wurden die frühere Arbeitslosen- und Sozialhilfe 
  zusammengelegt und als eine Grund-sicherung, bekannt unter 
  „Hartz IV“, eingeführt.
  Diese Grundsicherung wird jedem zuteil, der keinen Anspruch 
  auf Arbeitslosengeld hat oder seinen Anspruch aufgebraucht 
  hat.
  Die Vor- und Nachteile dieser Hilfeleistung sollen hier nicht 
  weiter beschrieben werden, jedoch die Einschnitte waren für 
  bestimmte Zielgruppen enorm. So fällt jeder Arbeitnehmer, 
  ungeachtet der Qualifikation, Stellung und Berufserfahrung nach 
  Ablauf des Leistungs-anspruchs auf Hartz IV-Niveau, sofern keine 
  anderen Einnahmen oder Einkommen durch eine/n Ehe-
  partner/in vorliegen. Wiederum andere Personen-kreise, wie 
  zum Beispiel Kinder, die noch bei Ihren Eltern lebten oder 
  auszogen, hatten plötzlich Anspruch auf Grundsicherung. 
  Ebenfalls Alleinerziehende oder Selbständige.
  Kürzlich brachte das Institut für Arbeitsmarkt- und 
  Berufsforschung eine Studie heraus, die die Aus-wirkungen von 
  Sanktionen auf die langfristigen Vermittlungschancen 
  beleuchtete. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass nach einer 
  Sanktion die Vermittlungs-chancen stiegen, langfristig sich 
  jedoch umgekehrt und deutlich negativ auf den Verbleib in 
  Arbeit auswirkten. Außerdem sanken langfristig die Verdienst-
  möglichkeiten.
  Quelle:
  IAB-Forum: Schneller ist nicht immer besser: Sanktionen können sich 
  längerfristig auf die Beschäftigungsqualität auswirken
  Heute sind über 15 Jahre nach Einführung von Hartz IV 
  vergangen. Es gab zwischenzeitig auch schon andere Studien, 
  aber auch sehr viele Erfahrungswerte Betroffener, die ähnliche 
  Zusammenhänge betonten. Außerdem die seelischen und 
  gesundheitlichen Auswirkungen langer Arbeitslosigkeit oder 
  prekärer Arbeitsverhältnisse.
  Der vorliegende Artikel will diese Aspekte näher beleuchten und 
  negative Auswirkungen zusammen-fassen, aber auch Wege aus 
  einer solchen Lebens-situation aufzeigen.
  Einleitung
  Die Auswirkung von Massenarbeitslosigkeit auf eine 
  Gesellschaft, auf Familien sowie auf das Individuum wurde 
  erstmals in einer richtungsweisenden soziologischen Studie am 
  Beispiel „Die Arbeitslosen
  von Marienthal“ wissenschaftlich untersucht (Paul F. Lazarsfeld, 
  Marie Jahoda, Hans Zeisel. S. Hirzel,Leipzig 1933).
  Dabei konnten sowohl drastische Veränderungen im Verhalten 
  der Betroffenen, im Wertesystem,in der Zukunftsplanung, im 
  Zusammenleben, in den Schulleistungen von Kindern und auch 
  in der Wahrnehmung von Zeit (u.v.m.) festgestellt und 
  dokumentiert werden. Es wurden zudem geschlechts-
  spezifische Unterschiede im Umgang mit der Situation erkannt 
  und beschrieben.
  Welche Fragestellungen wurden damals verfolgt?
  Fragen zu der Stellung zur Arbeitslosigkeit
  
  Wie war die erste Reaktion auf die Arbeits-losigkeit?
  
  Was hat der Einzelne getan, um Arbeit zu finden?
  
  Wer hat auswärts Arbeit gefunden;
  auf welchem Weg?
  
  Welcher Arbeitsersatz wird geleistet?
  
  Stellung zu Arbeitsgelegenheiten insbesondere zur 
  Auswanderungsfrage
  
  Typen und Phasen des Veraltens
  
  Welche Pläne haben die Untersuchten?
  
  Unterschiede zwischen Erwachsenen / Jugend-lichen
  
  Unterschiede zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen
  
  Verhältnis zu Fürsorge
  Fragen zur Wirkung der Arbeitslosigkeit
  
  Wirkung auf den psychischen Zustand der Bevölkerung
  
  Wirkung auf Schulleistung der Kinder
  
  Wirkung auf die Kriminalität
  
  Sind die älteren oder die jüngeren stärker von der 
  Arbeitslosigkeit betroffen?
  
  Haben sich Schwierigkeiten bei eventueller 
  Wideraufnahme der Arbeit gezeigt?
  
  Haben sich politische Gegensätze verschärft oder 
  vermindert?
  
  Hat sich die Stellung zur Religion verändert?
  
  Haben sich allgemeine Interessenverschiebungen gezeigt?
  
  Welche Veränderung hat die Zeitbewertung 
  durchgemacht?
  
  Wie haben sich die Beziehungen der Einwohner 
  untereinander verändert?
  
  Veränderungen innerhalb der Familie?
  Welche Ergebnisse hatte die Studie gebracht?
  Hier kurz zusammengefasst. Wer zeigte sich langfristig 
  ungebrochen, resigniert, verzweifelt, apathisch? Das Fazit war: 
  das resignierende Verhalten dominierte schließlich das gesamte 
  Leben in Marienthal.
  Die Ergebnisse der Studie haben bis heute an Aktualität nicht 
  verloren. Und sie stellen zudem auch wesentliche Arbeitsfragen 
  eines Life- und Sozialcoachings dar.
  Damals war die materielle Not allerdings viel stärker im 
  Vordergrund, weil aufgrund der besonderen Situation und der 
  folgenden Wirtschaftskrise keine soziale Absicherung mehr griff. 
  Heute sind Arbeitslose finanziell bessergestellt, aber dennoch 
  leben auch bei uns viele an einem Existenzminimum. Schwerer 
  wirken aber die seelischen, psychosozialen und psychoso-
  matischen Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit. Es gibt 
  nach wie vor geschlechtsspezifische Unter-schiede in der 
  Wahrnehmung, im Umgang mit sowie der Verarbeitung von 
  Arbeitslosigkeit. Zudem finden sich Unterschiede in der 
  Entwicklung von Krankheits-bildern während einer 
  Langzeitarbeitslosigkeit. 
  Auch empfinden jüngere Menschen Arbeitslosigkeit anders als 
  ältere, da die jüngeren noch nicht auf Jahre oder Jahrzehnte 
  Arbeitstätigkeit zurückschauen.
  Die gesellschaftlichen und Arbeitsverhältnisse haben sich seit 
  „Marienthal“ schon sehr verändert. Der Arbeitslose heute hat 
  zudem ganz andere Möglich-keiten, seine Zeit zu strukturieren 
  und den Tag zu füllen, auch wenn es sich hierbei nicht selten um 
  Ablenkung handelt (TV, Internet, Computerspiele, etc.)
  Zurecht fragen sich mittlerweile wieder viele Menschen, ob 
  Arbeit überhaupt dem Leben Sinn verleiht.
  „Soziologisch betrachtet, wirkt der moderne Arbeitsbegriff als 
  umfassende Beschreibung für individuelles und soziales 
  Handeln. Bestimmt die Gesellschaft noch den Wert der Arbeit 
  oder bestimmt die Arbeit den Wert der Gesellschaft bzw. ihrer 
  Mitglieder? Sind es die individuellen Wünsche oder die 
  gesellschaftlichen Anforderungen, die Menschen handeln 
  lassen? Ist es möglich, ein eigenständiges Selbst durch die Arbeit 
  zu entwickeln, oder sind wir alle nur die Marionetten des großen 
  Drahtziehers im Hintergrund? Welche Bedeutung hat die Arbeit 
  tatsächlich für das Leben des Menschen allgemein und 
  besonders für die Menschen im 21. Jahrhundert?“ Das fragt 
  Norbert Nüchter (Über die Bedeutung der Arbeit für das 
  menschliche Leben, 2009)
  Auf der anderen Seite erleben wir einen kontinuierlichen Wegfall 
  von Arbeitsplätzen, der aufgrund technologischer 
  Entwicklungen nicht aufzuhalten ist. Es entstehen immer wieder 
  neue Berufsbilder, diese betreffen aber in der Regel die 
  Spezialisten. 
  „Seit dem Beginn der Moderne bemisst sich der Wert eines 
  Menschen am Marktwert seiner Arbeitskraft. Jetzt, da diese Ware 
  in einer automatisierten Welt zusehends überflüssig wird, 
  müssen wir den Menschen in seinem Verhältnis zur Gesellschaft 
  neu definieren.“
  (Jeremy Rifkin, Das Ende der Arbeit, S. 13)
  Der Arbeitsplatz als Erlebnis- und Gestaltungsraum
  Dennoch bleibt der Arbeitsplatz in der westlichen Welt sicherlich 
  noch einige Zeit bei der Mehrzahl der Bürger das strukturierende 
  Merkmal im Lebenslauf und die Berufsrolle ein zentraler Aspekt 
  der Identität.
  Denn der Arbeitsplatz ist mehr als nur eine Möglichkeit, seine 
  elementaren Bedürfnisse sicher zu stellen.Er ermöglicht auf der 
  Basis einer existentiellen Sicherheit die Grundlage für höhere 
  Bedürfnisse, die Selbstverwirklichung ermöglichen (vergl. 
  Maslow).
  Aber auch der Arbeitsplatz selbst ist ein Ort, an dem Bedürfnisse 
  befriedigt werden. Der Arbeitsplatz ist ein Erlebnisraum. Arbeit 
  ist ein psychosozialer Aspekt.
  Die Arbeitszeit strukturiert zum Beispiel die Tages-
  und die Lebenszeit eines Menschen. Es entsteht ein Rhythmus. 
  Der Arbeitsplatz ermöglicht soziale Kontakte und bindet den 
  Menschen ein in ein soziales Netz. Dadurch nimmt der Mensch 
  teil an Gesellschaft, Kultur und Politik. Er bündelt seine 
  physischenund mentalen Energien und bringt diese zum 
  Ausdruck in der Herstellung eines Produktes, einer 
  Dienstleistung, einer Idee oder anderes. Indem die 
  Lebensenergie sinnvoll kanalisiert wird, erhält sich der Mensch 
  psychische und physische Gesundheit. Mit den sozialen 
  Kontakten entstehen selbstverständlich auch Reibung und 
  Konflikte, die wiederum Veränderung und Wachstum der 
  Menschen in Ihrer Persönlichkeit bewirken können.
  Krisen bieten die Möglichkeit zu sinnvoller Neuaus-richtung im 
  Leben oder dazu, eigene Verhaltensmuster, Werte und Normen 
  zu überdenken und zu ändern. Der Mensch erlebt geistige und 
  körperliche Heraus-forderung, Erfolg und Misserfolg, Macht und 
  Ohnmacht. Er entwickelt Selbstwertgefühl durch zunehmenden 
  Wissens, Könnens und durch Leistung. All diese Aspekte wirken 
  sich entsprechend auch auf das soziale Umfeld aus, auf 
  Beziehung, Familie, Freundeskreis. Ebenso entstehen Aspekte 
  wie Status und Ansehen. 
  Der Arbeitsplatz als Erlebnis- und Gestaltungsraum
  Wir leben in einer Gesellschaft, in der Freizeit ein wesentlicher 
  Aspekt des Lebens geworden ist. Aber eine Freizeit, die noch so 
  sinnvoll ausgefüllt wird, ersetzt nicht im gleichen Maße den 
  Stellenwert der Arbeit. Welche und wie viel Arbeit der Mensch 
  braucht, was er als Herausforderung erlebt, wie viel 
  Sinnhaftigkeit er durch Arbeit findet, kann nur der Einzelne für 
  sich selbst herausfinden und unterscheidet sich je nach 
  Persönlichkeitsstruktur und Wertesystem. 
  Dient die Identifikation mit der Arbeit einem Weg zur 
  Selbstverwirklichung oder wird Arbeit „nur“ als Möglichkeit 
  gesehen, finanziell am Gesellschaftsleben teil zu haben.
  Der Mensch benötigt jedoch mindestens so viel Arbeit, damit er 
  den Kontakt zur gesellschaftlichen, kulturellen und politischen 
  Realität nicht verliert. Arbeit ist ein Aspekt von Gesundheit und 
  Gesundheit ist ein Aspekt von Arbeit. Mit einem Zitat 
  gesprochen:
  „Gesundheit ist die Fähigkeit, lieben und arbeiten zu können“ 
  (Sigmund Freud).
  Arbeitslosigkeit und Gesundheit
  
  a)
  Macht Arbeitslosigkeit krank oder führt Krankheit zu 
  Arbeitslosigkeit?
  Für beide Erklärungsmodelle gibt es zahlreiche Hinweise und 
  Belege. Das erste Erklärungsmodell kennt man unter dem Begriff 
  „Kausalitätshypothese“, das zweite nennt man die 
  „Selektionshypothese“.
  In einzelnen Fällen können auch gleichzeitig beide Modelle als 
  Erklärung herangezogen werden.
  Arbeitslosigkeit kann Folge und (Mit-)Ursache einer Erkrankung 
  sein (Dualität).
  Die Gesetze einer wettbewerbsorientierten Mark-twirtschaft 
  führen leicht dazu, dass einerseits die „fitteren“ Bewerber im 
  Auswahlverfahren bevorzugt werden, aber auch, dass kranke 
  Arbeitnehmer bei einem hohen Angebot an Arbeitskräften einer 
  Gefahr der Kündigung eher ausgesetzt sind. Besonders bei 
  befristeten oder Zeitarbeitsverträgen. Dies spricht für das 
  Vorhandensein eines Selektionsprinzips.
  Der Übergang in die Arbeitslosigkeit löst jedoch zahlreiche 
  Prozesse aus, die sich langfristig negativ
  auf die Lebenssituation und Lebensführung der Betroffenen 
  auswirkt. Sie verlieren nicht nur einen beträchtlichen Teil des 
  Einkommens und sehen sich
  mit ganz neuen Vorgaben durch Behörden konfrontiert, vor 
  denen viele zudem noch Angst haben. Es werden die oben 
  genannten Alltags-und Beziehungsstrukturen durcheinander 
  gebracht, aufgeweicht oder entfallen komplett (Der Arbeitsplatz 
  als Erlebnis- und Gestaltungsraum). Das weist auf das 
  Vorhandensein eines Kausalitätsprinzips hin.
  Die Zeit- und Alltagsstruktur, die ein ganz wichtiges 
  Orientierungsprinzip im Leben darstellen, geratenin Unordnung. 
  Kontakte und Beziehungen gehen verloren, Teilhabe am 
  gesellschaftlichen Leben reduziert sich, ebenfalls die 
  Möglichkeit, gebraucht zu werden und Leistung zu zeigen, was 
  wiederum fehlende Anerkennung zur Folge hat sowie ein 
  Rückgang des Selbstwertgefühls.
  Viele Betroffene verheimlichen zudem ihre Arbeits-losigkeit, weil 
  sie entsprechende negative Reaktionen aus ihrem Umfeld 
  befürchten. Die Gesellschaft neigt bei der Erklärung vieler 
  Phänomene zu Alltagstheorien, die wiederum eine Verstärkung 
  der Belastungssituation und Stigmatisierung bewirken. 
  „Phänomene wie Bagatellisierung, Individualisierung, 
  Naturalisierung und Historisierung von Arbeits-losigkeit 
  bestimmen das Bild in und den Umgang von der Gesellschaft mit 
  der Massenarbeitslosigkeitund den davon betroffenen 
  Menschen. Dieses gesellschaftliche Bild wiederum bestimmt die 
  individuelle Bewältigung der Erwerbslosigkeit direkt und 
  indirekt Betroffener wesentlich mit.“(September 2008: 
  Arbeitslosigkeit: Psychosoziale Folgen):
  Bagatellisierung
  Indem die Gesamtgruppe aller Arbeitslosen anhand bestimmter 
  Kriterien in einzelne Gruppen aufgespalten wird, von denen nur 
  spezielle Gruppen überhaupt in der offiziellen 
  Arbeitslosenstatistik erfasst werden, wird das wahre Ausmaß der 
  gesellschaftlichen Spaltung zu verbergen versucht.
  Damit werden wachsende Gruppen von Arbeitslosen von 
  Leistungen aber auch von der öffentlichen Wahrnehmung 
  ausgeschlossen. Dies trifft ganz besonders auf Frauen zu, die 
  sich jahrelang um Familie und Haushalt gekümmert haben.
  Individualisierung
  Individualisierende Schuldzuweisungen wie z.B. Arbeitslosen 
  „Arbeitsunwilligkeit“, „zu geringe oder falsche Qualifikationen“, 
  „zu hohe Ansprüche an einen Arbeitsplatz“ oder „bewussten 
  Missbrauch von Sozialleistungen“ zu unterstellen, führt auf 
  Seiten der Arbeitslosen zu einem permanenten Recht-
  fertigungsdruck, nicht zu der Gruppe zu gehören, die ihre 
  Situation selbst verschuldet hat. Dieser Mechanismus betont 
  und verschärft die Grenze zwischen Beschäftigten und 
  Erwerbslosen. Er verstärkt die soziale Stigmatisierung von 
  Arbeitslosen und erleichtert zudem den Beschäftigten die 
  Illusion der Kontrolle des eigenen Arbeitslosigkeitsrisikos durch 
  Wohlverhalten aufrechtzuerhalten. Die Individu-alisierung 
  macht somit aus den Opfern einer Arbeitsmarkt-Krise ihres 
  eigenen Schicksals und nimmt den Betroffenen damit eine 
  wesentliche Grundlage, um kollektiv politisch für die 
  Verbesserung ihrer Situation zu kämpfen.
  Naturalisierung
  Ausgrenzend wirkt ebenso, wenn Massenarbeitslosigkeit als 
  „von Natur gegeben“ betrachtet wird und somit aus den 
  Bereichen der aktiven Politik ausgeschlossen und ihr somit die 
  Sichtweise der bewussten Veränderbarkeit entzogen wird.
  Historisierung
  Die Abwälzung der Gründe für die Massenarbeitslosigkeit im 
  Deutschland der 90er Jahre auf die deutsche Vereinigung und 
  genauer die „Erblast des sozialistischen Systems der DDR“ oder 
  die dort konstatierte fiktive „verdeckte Arbeitslosigkeit“, ist ein 
  gesellschaftlicher Erklärungsversuch von Arbeits-losigkeit, der 
  die Lebensleistungen vieler Menschen massiv entwertet. Diesen 
  Menschen wird bedeutet, dass das, was sie in ihrem bisherigen 
  beruflichen Leben geleistet haben, sinn- und wertlos war.
  Zahlreiche Studien weisen jedoch darauf hin, dass ein 
  Verursachungsprinzip (Kausalitätshypothese) vorherrschend ist 
  und Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeitssituationen krank 
  machen.
  „Arbeitslose Frauen und Männer sind von vielen Beschwerden 
  und Krankheiten häufiger betroffen als Erwerbstätige des 
  gleichen Alters (RKI 2003). Hinweise liefert etwa die 
  Arbeitsunfähigkeitsstatistik der gesetzlichen Krankenkassen. Der 
  Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen (BKK) aus dem 
  Jahr 2010 zeigt, dass arbeitslose Frauen im Jahr 2009 mit 
  durchschnittlich 22,8 Tagen deutlich häufiger arbeitsunfähig 
  waren, als weibliche Angestellte mit 12,4 Tagen. Bei Männern 
  betragen die entsprechenden Werte 19,5 und 9,7 Tage.“ (GBE 
  kompakt - 1/2012)
  Weitere erhebliche Unterschiede zwischen Arbeitslosen und 
  Berufstätigen konnten die Autoren: Dr. Thomas G. Grobe, MPH 
  und Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz in der 
  Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 13 bezogen auf 
  einzelne Diagnosen oder Diagnosegruppen, in der Krankenhaus-
  verweildauer darlegen. Folgende Abbildungen zeigen die bei 
  arbeitslosen Männern bzw. Frauen erfassten Leistungstage der 
  GEK-Versicherten in Krankenhäusern im Vergleich zu 
  Leistungstagen bei aktuell Berufstätigen, aufgeteilt nach 
  ausgewählten Diagnosekapiteln der Internationalen 
  statistischen Klassifikation der Krankheiten in der 10.Revision 
  (ICD10). Auf die angegebenen Kapitel entfallen 99 % aller 
  Krankenhaustage.
   
  Grundsätzlich gilt, dass Arbeitslose, im Vergleich zu 
  Berufstätigen, in Bezug auf alle Diagnosekapitel eine höhere 
  Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen aufweisen 
  (gemessen an der Verweildauer). Bei Neubildungen, Krankheiten 
  des Kreislaufsystems, der Harn- und Geschlechtsorgane sowie 
  des Bewegungs-apparates finden sich geringe bis mäßige 
  Unterschiede zu Ungunsten von Arbeitslosen.
  Deutlicher erscheinen die Differenzen bei Infektions-
  erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, Krank-heiten der 
  Verdauungsorgane sowie bei Verletzungen und Vergiftungen. 
  Unter arbeitslosen Frauen finden sich zudem doppelt so viele 
  schwangerschaftsbedingte Krankenhaustage.
  Die mit Abstand deutlichsten Unterschiede zeigen sich 
  hinsichtlich stationärer Aufenthalte wegen psychischer 
  Störungen: Arbeitslose Manner verbringen nahezu siebenmal 
  mehr Tage mit einer ent-sprechenden Diagnose im Krankenhaus 
  als Nicht-Arbeitslose, unter Frauen betragt das Verhältnis 3:1.
  Nach diesen Ergebnissen lassen sich bei Männern 60% der 
  Unterschiede in der Krankenhaus-verweildauer zwischen 
  Arbeitslosen und Berufstätigen auf Krankenhaustage mit der 
  Diagnose einer psychischen Störung zurückfuhren, bei Frauen 
  erklären diese 37 % der Differenzen. Schwangerschafts-bedingte 
  Aufenthalte sind unter Frauen für etwa 32% der zusätzlich 
  erfassten Leistungstage von Arbeitslosen verantwortlich zu 
  machen.
  Eine folgende Grafik soll das Risiko der Sterblichkeit in 
  Abhängigkeit vorausgegangener Arbeitslosendauer aufzeigen.
  
  a)
  Wie macht Arbeitslosigkeit krank?
  Nicht nur Arbeitslosigkeit macht krank, sondern auch 
  sogenannte „prekäre“ Arbeitsverhältnisse. 
  Dazu zählen unterbezahlte Jobs, die sich am Mindestlohn und 
  darunter bewegen oder einfach die Person und Familie nicht 
  ernähren können, ohne Zusatzleistungen zu beantragen. 
  Zeitarbeitsverträge, unsichere Jobs aufgrund von 
  Umstrukturierungs-maßnahmen und Personalabbau sowie 
  Jobs, die nicht zur Qualifikation passen (Überforderung und 
  Unterforderung).
  Außerdem wirkt sich allein der Gedanke an einen möglichen 
  Verlust oder die Angst vor Mangel für das psychische System 
  ganz genauso aus als sei der Mangel vorhanden. Das Gehirn und 
  damit auch die Körper-funktionen unterscheiden nicht zwischen 
  gedachten und realen Situationen. Dies ist aus der 
  Stressforschung zwischenzeitig bekannt. Und daher wirken sich 
  allein drohende Zustände schon krankmachend aus.
  So kommen wir zu den Wirkprinzipien, die einen Organismus 
  krank machen können. Wir wissen, dass dauerhafte 
  Stressbelastungen zu vielfältigen neurologischen, 
  physiologischen und biochemischen Veränderungen führen, die 
  den Organismus langfristig schädigen. Kurze Stressmomente 
  oder -phasen werden durch den Organismus mit 
  entsprechenden Stressreaktionen kompensiert. Adrenalin und 
  weitere Botenstoffe werden ausgeschüttet, damit der 
  Organismus agieren oder reagieren kann.
  Muskeltonus erhöht sich, die Herzfrequenz passt sich an und 
  Organfunktionen, die bei einer Angriffs- oder Fluchtreaktion 
  nicht benötigt werden, werden heruntergefahren. Nach 
  überstandener Gefahren-situation normalisieren sich diese 
  Prozesse, es kommt zu einer Entspannung Der Organismus ist 
  evolutionär darauf eingestellt, bei Gefahr mit Kampf oder Flucht 
  zu reagieren. Genauso, wie bei einer „realen“ Gefahr - z.B. bei 
  einem physischen Angriff - mit Kampf oder Flucht geantwortet 
  wird, so kann der Organismus bei seelischer oder 
  wirtschaftlicher Gefahr auch nicht anders reagieren. Er 
  antwortet mit denselben physiologischen Prozessen.
  Arbeitslosigkeit, aber auch prekäre Arbeitsverhältnisse stellen 
  für die meisten Menschen erst einmaleine zu erwartende 
  Dauerbelastung (Stressor) dar, deren Ende zum aktuellen 
  Zeitpunkt jedoch noch unbekannt ist. Diese „Unbekannte“ löst 
  eine permanente Stresshaltung aus. Je länger die Situation 
  anhält, desto eher manifestieren sich entsprechende 
  Stresssymptome. Diese Dauerbelastung, bzw.das Ausbleiben der 
  Erholungspause, haben physiologische und organische 
  Veränderungen und Schädigungen zur Folge (dauerhaft 
  erhöhtes Adrenalin und Cortisol, Cholesterin, gestörter Zucker-
  stoffwechsel, Bluthochdruck, erhöhter Muskeltonus, gestörte 
  Verdauungsfunktionen, Immundefizite u.v.m.).
  Insgesamt sind mehrere Faktoren bekannt, wie Arbeitslosigkeit 
  zu Krankheit führen kann:
  
  Stressmodell
  
  Deprivationstheorie
  
  Gesundheitsschädigendes Eigenverhalten und riskante 
  Lebensweise
  
  Vitamin-Modell nach Peter Warr
  Peter Warr, ein britischer Arbeitspsychologe, hat folgende 
  lebenswichtige „Vitamine“ der Arbeitswelt definiert: 
  Zu den Constant-Effekt-Faktoren zählen:
  1. die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen
  2. die physische Sicherheit
  3. die soziale Position, die Selbstachtung und Anerkennung 
  durch andere
  Diese Faktoren müssen vorhanden sein, damit eine gesunde 
  Basis existiert. Ist eine bestimmte Quantität erreicht, dann 
  verstärkt sich hier die Wirkung nicht mehr.
  Zu den Additional-Decrement-Faktoren zählen:
  1. die Möglichkeit zur Kontrolle der eigenen Lebensbedingungen
  2. die Möglichkeit zu sozialen Kontakten
  3. die Möglichkeit, eigene Fähigkeiten zu entwickeln und 
  anzuwenden
  4. externe Zielvorgaben, die aktivierend und motivierend wirken
  5. die Abwechslung und damit die Chance, neue Erfahrung zu 
  machen
  6. die Vorhersehbarkeit und Durchschaubarkeit von Ereignissen
  Hier ist ein „zu wenig“ genauso schädlich, wie ein „zu viel“.
  Dauerhafter Mangel (Deprivation) oder ein zu erwartender 
  Mangel (also die Angst vor Mangel) ist ein Stressor, der wiederum 
  entsprechende Stressreaktionen im Organismus auslöst. Das 
  Nervensystem unterscheidet dabei vorerst nicht zwischen 
  materiellem und immateriellem Mangel.
  Gesundheitsschädigendes Eigenverhalten und riskante 
  Lebensweise sind weitere Faktoren die bei vielen Menschen 
  unter Dauerstress, also auch bei Lang-zeitarbeitslosen, 
  anzutreffen sind. Dazu zählen unter anderem Probleme durch 
  einseitige Ernährung, erhöhter Alkohol- und Nikotinmissbrauch, 
  Tabletten-konsum und in der heutigen Zeit, erhöhte Sucht bei 
  der Nutzung digitaler Medien. 
  Arbeitslosigkeit ist zudem ein sehr großer sozialer Stressor, da er 
  zu Verlusten bei den zwischenmenschlichen Beziehungen führen 
  kann und so eine mangelnde soziale Eingebundenheit zur Folge 
  hat. Denn der Arbeitsplatz stellt in unserer Gesellschaft eine 
  zentrale Möglichkeit dar, soziale Kontakte zu leben und zu 
  pflegen. Arbeitslose leiden zudem häufig unter 
  Stigmatisierungen aus dem sozialen oder gesellschaftlichen 
  Umfeld und ziehen sich daraufhin zurück. 
  Rollenveränderungen, Identitätsverlust, mangelhaftes 
  Selbstwertgefühl und soziale Isolation sind bekannte Folgen.
  Zahlreiche Arbeitslose entwickeln daher langfristig depressive 
  Verstimmungen bis hin zu Depressionen, Angststörungen, 
  Schlafstörungen, Reizbarkeit, Apathie und Resignation. Dies 
  alles hat einen bedeutsamen Rückgang von Vitalität und 
  Lebensqualität zur Folge.
  Vitalität, Mut, Selbstwirksamkeitserwartung, dies sind alles 
  wesentliche Faktoren, um wieder aus einer solchen Krise 
  herauszukommen.
  Finanzielle Einschränkungen bis hin zur Ansammlung von 
  Schulden kommen erschwerend hinzu.
  Sie stellen nicht nur einen eigenen Stressor dar, sondern 
  schränken auch viele Aktivitäten und damit Teilhabe am 
  gesellschaftlichen Leben ein. Der Lebensalltag wird schwieriger, 
  viele Aktivitäten werden aufwendiger, z.B. weil kein Kfz 
  vorhanden ist, eine kaputte Waschmaschine führt zu erheblicher 
  Mehrarbeit, mangelnde Kaufkraft erkennt man ggf. am Äußeren 
  (Kleidung). 
  „Big Six“ der Überschuldungsgründe:
  Quelle: iff Überschuldungsreport 2015
  Viele dieser Aspekte und Problematiken stehen in einer 
  wechselseitigen Beziehung zueinander.
  Auf diesem Weg entwickeln sich häufig sogenannte „multiple“ 
  Belastungssituationen. 
  Mensch und Umwelt sind in einem „ökologischen System“ 
  miteinander verbunden, wie später noch im Kapitel zum 
  methodischen Ansatz beschrieben wird. Wie jedes ökologische 
  System benötigt auch dieses ein ökologisches Gleichgewicht, 
  einen geregelten Austausch zwischen den Lebenswelten, eine 
  ausgewogene Homöostase.
  Arbeitslosigkeit, Kindheit und Sozialisation 
  Besonders Kinder sind von finanziellen Einschränkungen 
  betroffen. Sie können an Aktivitäten Gleichaltriger nicht 
  teilhaben, können sich bestimmte Konsumgüter nicht leisten 
  und werden damit leichter zu Außenseitern. Häufig sind die 
  Wohnverhältnisse entsprechend eingeschränkt, was sich 
  hemmend auf die seelische Entfaltung der Kinder oder deren 
  Lernmöglichkeiten auswirkt.
  Aber auch die Zukunft von Kindern arbeitsloser Eltern verläuft 
  nicht gleichermaßen erfolgreich, wie die von Berufstätigen.
  „Söhne arbeitsloser Väter sind häufiger selbst arbeitslos – 
  entscheidend ist der Familienhintergrund.
  Die Ergebnisse der Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen: 
  Söhne arbeitsloser Väter sind im Alter von 17 bis 24 Jahren 
  häufiger selbst arbeitslos als Söhne, deren Väter eine 
  Beschäftigung hatten. 
  Jedes Jahr mehr an väterlicher Arbeitslosigkeit im Alter 10 bis 15 
  Jahre des Sohnes erhöht die Arbeitslosigkeit des Sohnes um 
  etwa ein Drittel …“ (Prof. Dr. Steffen Müller, Wirtschaft im 
  Wandel, Jg. 22 (2), 2016)
  Eine Studie von Bernhard Schmidpeter vom RWI Leibniz-Institut 
  für Wirtschaftsforschung Essen zeugt zudem: „Wenn Eltern zum 
  Zeitpunkt der Schulwahl – wenn die Kinder 10 Jahre alt sind – 
  arbeitslos sind, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder 
  später einen Universitätsabschluss machen, nur bei 25 Prozent. 
  Von den Kindern, die erst im Alter von 12 Jahren von der 
  Arbeitslosigkeit des Hauptverdiener-Elternteils betroffen sind, 
  erreichen dagegen 30 Prozent einen Studienabschluss. Der 
  ungünstige Zeitpunkt sorgt unter Kindern, die aufgrund der 
  Arbeitslosigkeit ihrer Eltern ohnehin schon benachteiligt sind, 
  also für einen Rückgang der Akademikerquote um rund 14 
  Prozent.
  Im Durchschnitt erzielen betroffene Personen im Alter von 35 bis 
  37 Jahren ein um bis zu 3.500 Euro geringeres Jahreseinkommen 
  durch die Arbeitslosigkeit des Elternteils. Über die Dauer der 
  Karriere macht das einen Unterschied von bis zu 65.000 Euro 
  aus.“
  Aber, wie sieht es mit den psychosozialen Aspekten bei den 
  Kindern und Jugendlichen aus?
  Die Forschungen auf diesem Gebiet sind noch sehr dünn. 
  Sowohl in Statistiken als auch in Diskussionen werden sie 
  überwiegend als Teil der Familieversteckt mitthematisiert, wenn 
  es um Alleinerziehende, Mehrpersonenhaushalte ode Familien 
  geht.
  „Elterliche (Langzeit-)Arbeitslosigkeit betrifft die Kinder (im 
  schulpflichtigen Alter) in ganz ähnlicher Weise wie die 
  Erwachsenen. Alle besonders auffälligen Symptome der 
  Auswirkungen von Arbeitslosigkeit im personalen und sozialen 
  Bereich sind auch bei den mitbetroffenen Kindern beobachtet 
  worden: Psychische Auffälligkeiten – Angstzustände, 
  Schlafstörungen, motorische Unruhe, emotionale Labilität, 
  Introver-sionen, Konzentrationsschwäche, Regressionen. Soziale 
  Auffälligkeiten – Abbruch sozialer Kontakte, Angst vor 
  Stigmatisierung, Verleugnung der Arbeitslosigkeit in der Familie, 
  Distanzierung von den Eltern, Leistungsabfall, Delinquenz.“ 
  (Kinder arbeitsloser Eltern: Erfahrungen, Einsichten und 
  Zwischen-ergebnisse aus einem laufenden Projekt Karl G. Zenke, 
  Günter Ludwig)
  Kinder lernen besonders in den ersten Jahren durch 
  Vorbildfunktion. In der Lernforschung nennt man dies „Lernen 
  am Modell“. Kinder von langzeitarbeitslosen Eltern, deren Eltern 
  ebenfalls schon arbeitslos waren, also Arbeitslosigkeit über zwei 
  oder drei Generationen hinweg, sind ganz besonders betroffen , 
  da sie diesen Zustand als Normalität erleben. Sogenannte „Hart-
  4-Generationen“ gibt es schon in Deutschland.
  Kinder arbeitsloser Eltern haben im Vergleich zu anderen 
  erheblich weniger berufliche Erfolgschancen und leiden sehr viel 
  häufiger unter Zukunftsängsten und anderen psychischen 
  Störungen sowie Entwicklungsdefiziten.
  Interventionsmöglichkeiten und Maßnahmen
  Arbeitslosigkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und 
  Problem und kann nicht nur dem Einzelnen zugeschrieben 
  werden und nicht nur beim Einzelnen ansetzen. 
  Der alleinige Fokus auf den Einzelnen erhöht dessen 
  Problematik, da dies eine Form der Stigmatisierung darstellt, bei 
  dem der Betroffene die Fehler und die Lösungen bei sich selbst 
  suchen muss.
  Vielen Maßnahmen liegt die Annahme zugrunde, die 
  Arbeitslosigkeit sei „verhaltensbedingt“, also selbst verschuldet. 
  Wissenschaftlich gesehen kann dies jedoch nicht belegt werden, 
  da hierzu rückwirkend niemals das notwendige Datenmaterial 
  erstellt werden kann. Es handelt sich also grundsätzlich um eine 
  Vermutung.
  Bei schwachem Arbeitsmarkt oder zu geringen 
  Verdienstmöglichkeiten oder branchenbedingten Arbeits-
  marktkrisen liegen zudem ganz klar strukturelle Probleme vor, 
  auf die der einzelne keinen Einfluss hat.
  Und dennoch muss selbstverständlich eine Beratungsarbeit, 
  unter der Berücksichtigung der äußeren Faktoren, verstärkt 
  beim Individuum ansetzen. Denn dieses benötigt auf mehreren 
  Ebenen Unterstützung.
  Gesellschaftliche und erst wirtschaftliche Einflussfaktoren lassen 
  sich nur langfristig durch Aufklärung, Wertewandel oder 
  politisch verändern.
  Fassen wir noch einmal zusammen, welche Probleme sich beim 
  Individuum und seiner Familie durch Langzeitarbeitslosigkeit 
  entwickeln und welche Lebenslebereiche betroffen sein können:
  Grafik: Knut Diederichs
  a)
  Welche Interventionen oder Maßnahmen können als 
  kritisch bewertet werden?
  Sämtliche Maßnahmen, bei denen die Annahme im Raum steht, 
  der Arbeitslose sei vordergründig oder allein für seine Situation 
  verantwortlich, rufen entweder Widerstände hervor oder lösen 
  Gefühle der Stigmatisierung aus.
  Sich wiederholende Maßnahmen, wie zum Beispiel, das dritte 
  Bewerbungstraining, zeigt einerseits, dass die ersten beiden 
  offensichtlich nicht von Erfolg gekrönt waren und werden von 
  den Betroffenen auch häufig als Schikane empfunden. Denn aus 
  ihrer Sicht haben sie seitdem „alles“ versucht. Die Inhalte 
  wiederholen sich zudem, was eher langweilt als motiviert. 
  Inhalte von Bewerbungstrainings sind nahezu identisch, aber 
  auch widersprüchliche Meinungen, zum Beispiel zur 
  Bewerbungsstrategie, rufen Irritation hervor.
  Dazu zählen auch der Fokus auf zu viele (Anzahl) und wenig 
  zielführende Bewerbungsaktivitäten, nur um eine bestimmte 
  Quote zu erreichen. Sowie Bewerbungen auf Stellen außerhalb 
  der Qualifikation oder des Selbstwertes. Erkennt der Bewerber 
  darin eine sinnvolle, wenn auch schmerzhafte Alternative, dann 
  bekommt die „Neuorientierung“ einen anderen Stellenwert. 
  Zu hohe Ziele oder wenig herausfordernde Ziele gehören 
  ebenfalls dazu. Eine zu hohe Konzessions-bereitschaft bei der 
  Art der angestrebten Arbeit ist demotivierend. Sogenannte „bad 
  jobs“, also prekäre Arbeitsverhältnisse, sollten vermieden 
  werden. Sie können in einzelnen Fällen zum schnellen Erfolg 
  führen, aber langfristig tragen diese nicht zum Erhalt der 
  Gesundheit bei und bergen einen Bumerang-Effekt.
  Jede Arbeitslosigkeit, die umso länger andauert, erhöht die 
  Gefahr krankmachender und demotivieren-der Faktoren und 
  erschwert selbstverständlich die Integrationschancen allein 
  schon aufgrund des schwindenden „Marktwertes“.
  Maßnahmen, die zum Abschluss nicht zu einer erfolgreichen 
  Vermittlung führen, verschlechtern die psychische Situation und 
  Motivation der Betroffenen, da sie als Misserfolg gewertet 
  werden.
  Menschen mit einer hohen Identifikation mit ihrem Job oder 
  ihrer Berufsrolle sowie mit einem hohen Leistungsanspruch 
  tragen eine größere Last, wenn es zu einer Arbeitslosigkeit 
  kommt. 
  Eine hohe Hoffnung (Erwartungshaltung) auf einen neuen Job 
  wirkt sich anfangs motivierend, aber langfristig demotivierend 
  aus. Bei niedriger Erwartungshaltung ist es umgekehrt.
  Das eigene Problemlösungsverhalten stellt ebenfalls einen 
  wesentlichen Faktor bei diesen Prozessen dar, dazu komme ich 
  aber weiter unten noch.
   b) Welche Interventionen sind motivierend und 
  stabilisierend?
  Jede Geschichte hat eine Vorgeschichte und sollte entsprechend 
  gewürdigt werden, indem sie besprochen, reflektiert und 
  gemeinsam bewertet wird.
  Die Vergangenheit eines Menschen ist mehr oder weniger, aber 
  stets eine (Re-)Konstruktion. Sie wirdaus der Sichtweise des 
  Betroffenen erzählt. Und dabei werden Zusammenhänge 
  subjektiv rekonstruiert.
  Zum Schutz des eigenen seelischen Systems neigen viele 
  Menschen dazu, die Gründe für Schwierig-keiten oder Fehler im 
  Außen zu suchen oder füllen Gedächtnislücken gerne mit 
  konstruierten Fakten.
  Dennoch bleibt der Betroffene der Einzige, der diese Geschichte 
  erzählen kann und es ist wichtig, die Historie kennen zu lernen, 
  die zur Arbeitslosigkeit oder zur Langzeitarbeitslosigkeit geführt 
  hat. Eine jahrelang belastende Arbeitssituation aufgrund von 
  Miss-stimmung im Team, Über- oder Unterforderung oder ein 
  über Jahre drohender Personalabbau hinterlassen ihre Spuren 
  und stellen die Grundlage für späteres Entscheidungsverhalten 
  dar.
  Die zahlreichen Versuche, aus der Arbeitslosigkeit 
  herauszukommen (wichtige Frage: was hat der Mensch bisher 
  schon alles versucht?), Misserfolge, erschweren-de zusätzliche 
  Aspekte und Einflüsse, die eine Folge des Arbeitsverlustes und 
  dann wiederum eine Ursache für weitere Probleme sein können, 
  sollten gewissenhaft erfasst werden.
  Menschen erzählen in der Regel gerne ihre Geschichten.
  Jede Maßnahme, die möglichst früh ansetzt, erhöht die 
  Erfolgsaussichten. Daher sind Out- oder New-placement-
  Programme wünschenswert. Diese setzen in der Regel vor 
  Eintritt möglicher Arbeitslosigkeit an.
  Verbesserung der Bewerbungsqualität und Präsen-
  tationsfähigkeit gehören, wie auch die gezielte und 
  arbeitsmarktbezogene Verbesserung von Fach-kompetenz 
  (Zukunftsjobs) dazu.
  Reflexive Verfahren, die das informelle Wissen und Können des 
  Betroffenen herausarbeiten, stellen einen zentralen Ansatz in 
  der arbeitsmarktorientierten Beratung dar. 
  Eine Teilhabe am Arbeitsleben, zum Beispiel durch Teilzeit- und 
  Minijobs, wirken sich nicht nur förderlich auf den Geldbeutel aus 
  und damit wiederum auf die Erhöhung von Handlungsspielraum 
  oder der Absicherung von Grundbedürfnissen, sondern 
  ermöglichen soziale Kontakte und können das Selbst-wertgefühl 
  erhöhen, sofern die Art der Arbeit die Akzeptanz des Betroffenen 
  findet.
  Sogar Schwarzarbeit wirkt sich eher positiv auf die 
  Psychohygiene aus. Staatliche Maßnahmen sollten 
  Arbeitsmöglichkeiten und Zusatzverdienste nicht gleichzeitig 
  durch Leistungskürzungen verhindern. Aktivität sollte nicht 
  sanktioniert, sondern gefördert und begleitet werden.
  Psychologisch orientierte Trainings und Coachings, die 
  Handlungskompetenz, Motivation und 
  Selbstwirksamkeitserwartung erhöhen, können grundsätzlich 
  als förderlich bewertet werden. 
  Jegliche Maßnahmen, die dem Lebensalltag Struktur und 
  Orientierung verleihen, attraktive und erreichbare Ziele 
  vermitteln, Erfolgserlebnisse erzielen und zu einer 
  gesundheitsförderlichen Lebensführung verhelfen (z.B.: 
  Ernährung, Bewegung, etc.), wirken sich positiv auf den 
  Betroffen und sein soziales Umfeld aus.
   c) Verhaltensprävention und Verhältnisprävention
  Angestrebt wird eine Kombination aus Verhaltensprävention 
  und Verhältnisprävention. 
  Wie der Begriff „Verhaltensprävention“ schon sagt, geht es hier 
  um eine Intervention beim eigenen Verhalten und der 
  Vermeidung von verhaltensbedingten negativen Einflüssen. 
  Damit ist unter anderem gesundheitsschädigendes Verhalten 
  gemeint, wie zum Beispiel mangelhafte Ernährung oder Konsum 
  von Drogen. Aber auch nicht förderliche emotionale und 
  mentale Prozesse (negatives Denken), welche eine schädliche 
  Situation stabilisiert oder den Weg daraus erschwert.
  „Verhältnisprävention“ (strukturelle Prävention) beschäftigt sich 
  mit den technischen, organisatorischen und sozialen 
  Bedingungen des gesellschaftlichen Umfeldes und deren 
  Auswirkungen auf die Entstehung von Krankheiten. Sie zielt auf 
  die Veränderungen der Lebensbedingungen der Menschen.
   d) Fördernde und weniger fördernde 
  Problemlösungsstrategien 
  Ein effektives Stressmanagement trägt erheblich zur Erhaltung 
  der Gesundheit und Leistungsfähigkeit bei.
  Aus vielen wissenschaftlichen Studien ist bekannt, dass ein 
  richtiges Zusammenspiel von Stressbewäl-tigungsstrategien 
  deutlich die Stressbelastung senken kann.
  Vorweg ein paar Erklärungen zum Phänomen Stress.
  Durch die Arbeiten des Mediziners Dr. Hans Seyle wurde der 
  Begriff „Stress“1956 erstmalig bekannt.
  Er wurde aus der Materialforschung entlehnt. Auf ihn geht auch 
  die Unterscheidung zwischen Distress und Eustress, also 
  zwischen negativ und positiv erlebtem Stress, zurück.
  Dr. Hans Seyle formulierte folgende Definition:
  Er definierte Stress als „die unspezifische Antwort des Körpers 
  auf eine Anforderung“. Stress ist eine Aktivierungsreaktion 
  unseres Körpers und nicht die Ursache, die ihn auslöst. Während 
  der Begriff „Stress“ als solcher neutral ist, d.h. nichts darüber 
  aussagt, ob die körperliche Aktivierung positiv oder negativ ist, 
  wird er in der Umgangssprache meist negativ im Sinne einer 
  Belastung verwendet: „Ich stehe unter Stress“ oder „Das war 
  wieder ein Stress heute“.
  Nach Lazarus kommt zur Auswirkung von sogenannten 
  „Stressoren“ (das, was einem Menschen Stress macht) ganz 
  entscheidend die eigene Bewertung hinzu.
  Dazu zählen die Interpretation und Bewertung des Stressors 
  sowie die der eigenen Ressourcen.
  „Stressbewältigung umfasst kognitive und verhaltensbezogene 
  Anstrengungen zur Handhabung externer und interner 
  Anforderungen, die von der Person als die eigenen Ressourcen 
  beanspruchend oder überfordernd angesehen werden.“ (Lazarus 
  & Folkman, 1984, S. 141)
  Die Stressbewältigung wird als Coping bezeichnet. Lazarus 
  unterscheidet drei verschiedene Arten des Copings.
  Problemorientiertes Coping
  Das Individuum versucht, durch Informationssuche, direkte 
  Handlungen oder auch durch Unterlassen von Handlungen 
  Problemsituationen zu überwinden.
  Emotionsorientiertes Coping
  Das Individuum versucht, die durch die Situation entstandene 
  emotionale Erregung abzubauen.
  Bewertungsorientiertes Coping
  Das Individuum bewertet die Belastung eher als 
  Herausforderung, wodurch Ressourcen frei werden, um 
  angemessen zu reagieren. Dies kann nur gelingen, wenn 
  konkrete Problemlösungsansätze gefunden werden (siehe 
  problemorientiertes Coping). Es sollten also verschiedene 
  Bewältigungsstrategien kombiniert werden (vgl. Lazarus 1999).
  Was als Stressor angesehen wird und welche Copingstrategie 
  eingesetzt wird, das hängt auch sehr von 
  Persönlichkeitsaspekten ab sowie von der Sozialisation. Also von 
  erlerntem Verhalten.
  Aktives emotionsorientiertes Coping, wie zum Beispiel, Sport 
  oder vielleicht bewußte Formen der Katharsis können noch 
  differenziert werden von Wutausbrüchen, Weinen oder 
  ähnlichem.
  Stressverschärfende Gedanken erschweren den Lebensalltag 
  und sie sind zahlreich beim Menschenzu finden. In besonderen 
  Belastungssituationen wirken sie umso verstärkender. Diese gilt 
  es bei der „kognitiven Umstrukturierung“ in neue hilfreiche 
  Gedanken umzuwandeln und die Herausforderung in einer 
  Situation zu sehen. 
  Der Stressforscher Gerd Kaluza beschreibt fünf bekannte 
  stressverschärfende Haltungen:
  •
  
  Sei perfekt
  •
  
  Sei beliebt
  •
  
  Sei unabhängig
  •
  
  Behalte die Kontrolle
  •
  
  Halte durch
  Jede dieser Haltungen erschweren den täglichen Umgang mit 
  Herausforderungen und sind jeweils angstgesteuert. „Sei 
  perfekt“ ist zum Beispiel ein überzogener Leistungsanspruch 
  über den Selbst-bestätigung gesucht wird. Er ist gleichermaßen 
  genährt von der Angst vor Fehlern und Misserfolg.
  Perfektion ist in vielen Arbeitsbereichen wichtig. Aber die 
  stressverschärfende Haltung „Sei perfekt“wird dann zum 
  Problem, wenn sie auch auf andere oder alle Lebensbereiche 
  übertragen wird. 
  Dies führt dauerhaft zur Überforderung und zur Erschöpfung.
  Im Rahmen einer kognitiven Umstrukturierung sucht der 
  Betroffene eine alternative Haltung sowie alternative 
  entlastende Formeln.
  Zum Beispiel: „Auch ich darf Fehler machen!“ Oder „So gut, wie 
  möglich, aber auch so gut, wie nötig!“ „Weniger ist manchmal 
  mehr!“
  Vermeidungsorientierte Problembewältigungs-strategien sind 
  wohl jedem Menschen bekannt, der sich ernsthaft mit seiner 
  eigenen Persönlichkeit befasst. Humorvoll spricht man vom 
  „inneren Schweinehund“. Kommt es je doch zur Verdrängung 
  von Problemen, dann entwickeln sich destruktive Strukturen.
  Ziel ist es daher, die Schwierigkeiten als Heraus-forderungen zu 
  sehen und problemorientierte Bewältigungsstrategien zu 
  entwickeln. Bewältigte Probleme erhöhen die Kompetenz, 
  stärken das Selbstvertrauen und bieten Erfolgserlebnisse.
  Fazit
  Eine gewachsene Lebenssituation hat stets viele Seiten und 
  Aspekte und die Entstehung von Problemen hat zahlreiche 
  Einflussfaktoren. Einseitige Betrachtungsweisen und 
  vereinfachtes Ursache-Wirkungs-Denken (wer hat Schuld?) 
  bringen keine Hilfestellung. Komplexe und ganzheitliche Ansätze 
  sind hier wichtig, um Lebensgeschichten und schwierige 
  Lebenssituationen zu verstehen. 
  Solche Ansätze gibt es und ich werde zukünftig einen 
  interessanten Ansatz in meinem Blog vorstellen.
  Sehr viele Menschen wissen: „ein Problem kommt selten allein!“ 
  Und wenn es an Ressourcen fehlt, dann wird ein Loch mit einem 
  anderen gestopft. Das ist in der entsprechenden Situation 
  nachvollziehbar, erscheint sogar oft logisch, bzw. einfach 
  notwendig. Am Ende jedoch findet man einen Teppich voller 
  Löcher vor. Kann man dies einem Betroffenen vorwerfen?
  Man werfe einen Blick in die Politik, in die Wirtschaft und 
  Finanzwelt, Energiewirtschaft und auf Natur und Umwelt. 
  Politiker stopfen Haushaltslöcher mit Geld aus anderen Töpfen. 
  Dieses Geld fehlt dann wieder bestimmten 
  Bevölkerungsgruppen (in der Zukunft). Zum Beispiel bei den 
  Renten. 
  Elektromobilität hier und saubere Luft vor der eigenen Tür, 
  Kinderarbeit dort und Umweltverschmutzung weit entfernt.
  Probleme scheinen Attraktionsenergie zu besitzen … sie ziehen 
  weitere Probleme an. Dann kommt eins zum anderen. Und ein 
  Tunnelblick entsteht leicht. 
  Der arbeitslose Mensch, sowie jegliche Person in schwierigen 
  Lebenssituationen sollte daher nicht vor-verurteilt werden. Denn 
  nur, weil auf meinem Weg bisher keine Steine lagen, heißt es 
  nicht, dass ich nicht auch mal stolpern könnte.
  Langzeitarbeitslosigkeit wird daher von zahlreichen Problemen 
  auf finanzieller, gesundheitlicher und sozialer Ebene begleitet. 
  Diese „Baustellen“ binden sehr viel Energie und benötigen 
  ständige Aufmerksamkeit. Diese Energie fehlt dann für 
  berufliche Zielplanung und Veränderung.
  Daher macht hier auch ein Life- und Sozialcoaching Sinn und 
  unterstützt in schwierigen Lebensphasen.
  Dennoch liegt jedes Problem sowie dessen Lösung im Blick des 
  Betrachters. Der Blickwinkel und die eigenen Bewertung der 
  Situation und der eigenen Ressourcen entscheidet letztendlich, 
  was ein Problem ist oder eine Herausforderung. Daher ist es 
  wichtig, eine andere Haltung zur Lebenssituation und zur 
  eigenen Person zu finden, um mögliche Auswege zu erkennen.
  Knut Diederichs, 01.07.2021
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Wissenswertes
 
 
  
Die Situation des Langzeitarbeitslosen
 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
 
 
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